Einer der letzten Maler-Asketen


Christian Kirsten in Rossendorf

Im ehemaligen „Zentralinstitut für Kernforschung“ der Akademie der Wissenschaften in Rossendorf entstand Ende der 60er Jahre ein „Rossendorfer Klub“, ein Gruppe gleichgesinnter Wissenschaftler und Techniker des Instituts, deren Hunger nach zeitgenössisch-fortschrittlicher Kunst, Literatur und Musik sich gegen ein engstirnige Kulturpolitik gemeinsam besser realisieren ließ. In diesem Rahmen entwickelte sich seit 1970 eine rege Ausstellungstätigkeit, die von Künstlern und Fachleuten der Museen hoch geschätzt, von den Gralshütern des „Sozialistischen Realismus“ immer wieder angegriffen wurde.
So fanden hier schon frühzeitig Ausstellungen von Achim Freyer, Hermann Glöckner, Dottore, Eberhard Göschel, Horst Bartnig, Gerda Lepke, Carlfriedrich Claus, Max Uhlig, Manfred Luther, Lutz Fleischer u.v.a. statt. Dem Engagement vor allem der Klubmitglieder Günter Pfefferkorn, Reinhard Koch, Dieter Klötzer und Erich Sobeslavsky sind bis Juni 1991 über 80 Ausstellungen zu danken. Im Rahmen des Umbaus zum „Forschungszentrum Rossendorf e.V.“ schlief die Ausstellungstätigkeit zunächst ein, erst im Februar diesen Jahres knüpfte der nunmehr ebenfalls als eingetragener Verein existierende Klub an Tradition an mit einer Ausstellung von Charlotte Sommer-Landgraf. Der neu zur Ausstellungsgruppe gestoßene Physiker Manfred Kunicke setzte sich für die gegenwärtige Ausstellung ein.
Christian Kirsten ist wohl einer der wenigen letzten wirklich bodenständigen Künstler.
Und dies nicht nur, weil er zu den wenigen Dresdner Künstlern gehört, die seit frühester Kindheit in der Region ihres Schaffens ansässig sind. Bewundernswert ist, wie er sich seit drei Jahrzehnten ökologisch verträglich in asketischer Lebensweise am Steilhang der Loschwitzer Grundstraße festgebissen hat. Die gleiche Askese markiert im Denken seine Haltung zu den großen Menschheitsproblemen der Gegenwart, die durch den publikumswirksamen Wandel in Osteuropa lediglich verdeckt wurden, einer Lösung aber ebenso fern liegen wie vor zwei oder vier Jahrzehnten.
Oder sollte man hier Askese mit nüchternem Realismus übersetzen, fernab jeder großmäuligen Schaumschlägerei, wie sich auch seine Kunst präsentiert?
1940 in Freital geboren, durch den Großvater, der Holzbildhauer war, frühzeitig die musischen Aspekte von Holzspänen und Firnis riechend, arbeitete er zwischen 1954 und 1964 als Plakatmaler. Es folgte ein Studium der Malerei und Graphik an der Dresdner Kunstakademie, wo, vielleicht abgesehen von Herbert Kunze im Grundlagenstudium, keine wesentlichen Eindrücke durch Lehrkräfte zu vermerken waren.
Doch gehörte er mit Kommilitonen wie Eberhard Göschel und Peter Muschter schon zu einer Generation von Studenten, deren Denken durch äußere Reibung am repressiven System geschärft wurde und damit trotz anderer Ursachen in geistiger Bewußtheit ein östliches Pendant zur westeuropäischen 68er- Generation markiert. Freilich ist das Schicksal der östlichen 68er eher mit Prag 1968 verknüpft als mit dem Gesetz des Handelns in Berlin, Frankfurt und Paris. Es entstanden defensiv in die Tiefe des Denkens geprägte Schutzschilde humanistischer Werte gegen Freund-Feind-Ideologie.
In Christian Kirstens malerischem Werk hat der Rückzug in die Stille des Privaten, in Sujets wie Interieur, Landschaft und Stillleben in äußerst reduzierter Farbigkeit bis nahezu hinter die Grenze des Schweigens, ins graue Rauschen pantheistischen Weltgeists, zur Folge. Zur bescheidenen Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen stellt er kunsthandwerkliche Produkte der Holzgestaltung her, mobile Plastiken und Figuren, die in anderer Weise ebenso wie seine Malerei vom Impetus einer universellen und philosophischen Weltsicht geprägt sind. „Es gibt nur einen Garten im All, und das ist unsere Erde.“ So besingt er die Schönheit dieses einzigen uns zugänglichen Gartens in den Holzplastiken und betrauert gleichzeitig dessen Gefährdung seiner Malerei, wie bei Camus die Spannung zwischen Schönheit und Leid zur Triebkraft der Existenz wird.
Eros und Thanatos peitschen diese kranke Zivilisation immer wieder von ihrem Sterbebett auf, die geflissentlich seit Jahrzehnten Carl Friedrich von Weizsäcker und Robert Jungk, Karol Wojtyla und Eugen Drewermann überhört. Inzwischen läuft die Menschenfeindlichkeit einer virtuellen Globalisierung den Politikern aus der Hand und stagniert der ethische Status der Hochkulturen.
Christian Kirsten sieht „das Ziel einer humanen Gemeinschaft“ in dem Punkt, in dem die Grenzen von Wissenschaft, Philosophie und Religion fließend werden, „nämlich in der Ewig- und Unendlichkeit. Also unerreichbar?“, worauf er antwortet: „Der Weg dahin bleibt uns. Und auch nur, wenn wir ihn nicht vorzeitig zerstören.“ „Der Mensch muss sich ein neues Verhältnis zur Natur erarbeiten. Er muss lernen, sich einzufügen… Dafür braucht es inneren Wandel, Bewußtseinswandel, Seelenarbeit.“
Diese seine Worte propagiert die neue Malerei, war sie noch in den späten achtziger Jahren von Rückzug und Verweigerung geprägt, so bietet sie jetzt dem von der Blindheit der Masse betroffenen aufklärerischen Geist ein malerisches Forum. Filigrane Materialcollagen erscheinen als magische Schriftzeichen ambivalenter Bedeutungsträchtigkeit aus der Tiefe des Universums, wie bei Altenbourg verbunden mit dem Titel als literarischen Teil des Werkes.
1995 entwirft er eine Plastik mit dem Titel „Laokoon 2000“: Die Schlangen der Minerva sind mutiert zu Symbolen unserer technischen Zivilisation. Wenn diese Troja abermals zerstören will, ist natürlich der apollinische Priester noch immer im Weg. Oder ist Fortschritt doch reparabel? Wäre Ulysses auch ohne trojanischen Umweg nach Dublin gelangt?


Gunter Ziller

(30.04.1998, Dresdner Neueste Nachrichten)