Wir sind auf dem Weg


Im Jahr 1973 bekam ich ein Buch von dem Physiker Carl Friedrich von
Weizsäcker (1912-2007) in die Hand, „Die philosophische Interpretation der modernen Physik“ (1972). Ein Vermächtnis über die Logik seiner Physik und Philosophie.
Ich habe es tapfer durchgelesen - und das meiste nicht verstanden. Aber ein entscheidender Kernbereich hat mich berührt und für die nächsten Jahre bekleidet. Er ist zu einem erheblichen Teil die geistige Grundlage meiner künstlerischen Bemühungen geworden.
Diese Passage lautet in etwa: „ Das Verhalten der Menschen auf unsere Umwelt ist katastrophal und lebensschädigend. Wenn wir jetzt unser Umweltverhalten ändern, dann würde es noch c. 30 Jahre dauern bis die Einflüsse auf das Klima und die Atmosphäre sich bessern würden. Es besteht ein Wettlauf zwischen den sich ausbreitenden Umweltschäden und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen der Menschen auf die Zerstörung. Irgendwann wird die Schädigung irreparabel sein" (Club of Rome Report 1972: "Die Grenzen des Wachstums").
Nun sind schon über 40 Jahre vergangen. Bis heute wird ungenügend auf die neuen Klima-Probleme reagiert – es wird viel verschoben und auch in der Öffentlichkeit beschönigt. Wir müssen, ob wir wollen oder nicht, unser Verhalten ändern. Ich weiß, das ist leicht hier hingeschrieben – aber…

Wir sind auf dem Weg.
Wir befinden uns auf dem Raumschiff Erde und treffen immer wieder auf uns selbst. Die Sehnsucht und unsere Träume lassen uns zukünftige Gefilde ansteuern und wir finden dort Werte der Vernunft wie Güte, Verständnis, Freiheit, Wahrheit, Solidarität – Zustände der Freude, Erscheinungen der Schönheit, aber auch Abgründe und Leid.
Ich kann mir vorstellen, dass der Name unseres Lebens-Raumes immer Mutter Erde heißen wird - unsere heimische Sphäre, die auch nach den ständigen sozialen Veränderungen immer eine Noos-Sphäre sein wird.
Im Fluss der Zeit bringt sich Vergangenes in Zukünftiges ein. Es wird sichtbar, dass sich aus den verschiedenen alten Kulturen neue Konstellationen herausbilden.
Es entwickeln sich neben der bisher dominanten westlichen Welt (Europa-Amerika) differenzierte alte – neue Kulturen. Die sogenannten BRIC – Staaten stehen dafür (Brasilien, Russland, Indien, China). Sie alle beeinflussen sich gegenseitig. Und wir wachsen aus diesem versammelten Geist in eine neue Welt-Kultur hinein (eher wie später).
Seit dem 2. Weltkrieg hat sich die Deutungshoheit der Kunst-Maximen von Paris nach New York verlagert.
Wenn man bei dieser Einschätzung die Aspekte des Kunstmarktes, der aufgesattelt auf dem geopolitischen Kontext einer historischen Erfolgsentwicklung des westlichen Weges, einmal beiseite lässt,
dann glaube ich zwei Sichtweisen ausmachen zu können, Sichtweisen speziell innerhalb der westlichen Kunstwelt in der Beurteilung der heutigen, visuellen Kunstausübung.
Einerseits eine jetzige separate Sicht – nämlich die ästhetische Fixierung auf Formsuche innerhalb der Bildenden Kunst und dem Kunstverständnis eines Teils der Welt, der westlichen Welt.
Andererseits eine neue Sicht auf die generelle Singularität – die Orientierung auf Lebensfragen der gesamten Menschheit. Also den Lebensproblemen der Menschheit – wie neues Verhalten gegenüber der Umwelt. Orientierung auf eine gesunde Umwelt und Sozialverhalten sind überlebenswichtig.
Die Welt versammelt sich mit ihren geistigen Kräften und wird sich in Zukunft nicht nur den menschengemachten Problemen stellen, sondern auch den Blick über den Nestrand werfen und sich den universellen Raum erschließen müssen. Das Leben ist das eigentlich generell Singuläre.

Eine neue Ethik ist vonnöten. Das Ziel ist nicht der jetzige Homo-Ökonomikus, sondern ein Homo-Empathikus wird die Herausforderungen einer neuen Welt, gegründet auf Nachhaltigkeit und sozialer Kompetenz, zu bewältigen haben.

„Im Gegensatz zu allen anderen Lebewesen haben die Menschen den intellektuellen Vorteil, rationale Theorien zu entwerfen und diese gleichzeitig zu kritisieren. Damit sind sie in der Lage, ihre selbst begangenen Fehler auszumerzen, ohne sich gegenseitig ausrotten zu müssen.“
„Versuch und Irrtum“ („Trial – and error Strategie“).
In seinem Buch „Logik der Forschung“ (1934) von Sir Carl R. Popper (1902-1994) gehören diese Sätze zum Kernbereich seiner Erkenntnistheorie.

Versuch und Irrtum.
Es ist immer gut die Realität im Auge zu behalten. Wir sind uns doch einig, den Menschen nicht nur als materielles Wesen zu sehen. Er lebt seine Wesenhaftigkeit aus dem Materiellen aber mehr noch aus dem Geistigen. Diese zwingende Eigenschaft des Hauptsächlichen, also – dem Wachsen des Geistig-Seelischen, gilt es in unserer heutigen geldgierigen Zeit zu bewahren. Das heißt, unsere Irrtümer zu korrigieren und damit unser und unserer Enkel Leben sinnvoll wachsen und gedeihen zu lassen.

Das Gedankengut des Soziologen und Zukunftsforschers Robert Jungk (1913-1994) gehört auch zum maßgeblichen Teil meines künstlerisch-philosophischen Verständnisses. Mit seinem Buch „ Zukunft zwischen Angst und Hoffnung“(1990) gehört er für mich mit zu den prägendsten Vorbildern der modernen Gesellschaftsanalyse.
„Wir sind an die Grenzen der äußeren Welt gelangt, aber noch nicht an die Grenzen der inneren Welt. Daraus ergibt sich die langfristige, weitere Orientierung des menschlichen Fortschritts. Das Nächstliegende die Bekämpfung der Bevölkerungskrise, Rüstung, Umwelt, Rohstoff, Hunger, Ungleichgewicht der Verteilung (arm-reich).“
Seine Abhandlungen über die „neuen Enzyklopädisten“ sind vor über 20 Jahren niedergeschrieben – und für heute und die Zukunft von hoher Relevanz.

Es ist nun leicht zu bemerken, dass bei den aufgeführten Grundlagen meiner künstlerischen Intentionen vorrangig beispielhafte Autoren aus der geistig-philosophischen Welt auftauchen. In meiner künstlerischen Arbeit war ich immer für die Ausstrahlungen der gesamten Kunstgeschichte, für die Ausstrahlungen der ganzen menschlichen Geschichte empfänglich und offen. Und diese ganze menschliche Werdensgeschichte (Evolution) steht an einem sehr prekären Punkt. Viele sensibilisierte Menschen bemerken dies. Der künstlerische Beitrag ist speziell in den Zeiten gewesen – und so auch heute. Tätige Enzyklopädisten und Leute mit Gewissen sind gefragt.

In aller Bescheidenheit bringe ich mich ein in die Geisteshaltung derer, welche die zukünftigen Lebensprobleme beim Werden unseres Planeten – unserer Zivilisation – aufgreifen und lebensfreundlich ausrichten wollen und müssen – bei Strafe des Rückschritts in vorindustrielle Zeiten.
Eine neue Verortung des Menschen zum Sein in geistiger, räumlicher und psychischer Art ist zu beobachten.
Diese meine Arbeiten können als Bemühung um die bildnerische Fixierung einer problematischen Wirklichkeit aufgefasst werden.

Schon erlaubt ist heute in Tat und Gedanken ein Flug weit über den Nestrand unseres Orbits hinaus – und wieder zurück.
Und die Voraussetzung dafür ist die gelebte Geneigtheit des verständnisvollen Ichs zum Nächsten – und darüber hinaus.
Unser Weg ist der Weg zu einer empathischen Zivilisation. Es gibt kein Zurück.


2013 CH.K.